KUNSTVEREIN IN BREMEN: DER TRIUMPH DES IMPRESSIONISMUS
Text und Foto: Julia Kozda ©
«In der Malerei, wie auch in anderen Kunstgattungen, gibt es keine Technik, die einer verbalen Formulierung angepasst werden kann»
Pierre Auguste Renoir
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was uns die Betrachtung von Schönheit gibt? Lassen Sie mich beginnen: ein Gefühl der Freude und der Harmonie, einen Anreiz zum Nachdenken und zur Beobachtung unserer Gedanken, einen Funken innerer Begeisterung und Motivation, einen Weg, uns selbst zu erkennen, unsere innere Stimme zu hören. Wenn Ihre Füße Sie zum See oder zu den ausladenden Ästen jahrhundertealter Bäume führen, widerstehen Sie nicht. Wenn Ihr Herz schneller schlägt, wenn Sie an einem Garten vorbeigehen, der gerade zu blühen beginnt, hören Sie auf seinen Rhythmus. Wenn sich in der Stadt Türen mit Meisterwerken der Kunst öffnen, gehen Sie hin, um ihnen zu begegnen und sich mit der Lust am Leben zu erfüllen.
Auf diese Veranstaltung in der Bremer Kunsthalle hatte ich etwa ein halbes Jahr gewartet, seit mir ein Heft mit dem Programm der Galerie für 2023 in die Hände fiel. Damals war ich gerade dabei, mich für einen B2-Deutschkurs anzumelden, und während ich auf meinen Termin wartete, entdeckten meine Augen am Stand der Kulturveranstaltungen etwas, das wirklich «meins» war. Die ganze Zeit über lag das Heft auf meinem Nachttisch, zusammen mit meinen Lieblingsbüchern.
Zunächst möchte ich sagen, dass ich eine sehr herzliche Einstellung zur Kunst habe, zumal ich selbst mit Aquarellfarben male. Wann immer ich eine freie Minute habe, gehe ich in eine Galerie oder besuche ein Museum in einer Nachbarstadt, blättere in den riesigen Kunstbänden der Stadtbibliothek in Bremen, wo ich stundenlang zwischen Büchern und einem Milchkaffee oder Erdbeerkuchen von Maître Stefan Boulangerie & Café wechseln kann, gehe in ein Kunstgeschäft, um neue Pinsel und Aquarellpapier zu kaufen, oder studiere Biografien berühmter Künstler. Oder ich gehe in den malerischen Bürgerpark, der so schön ist, wie die Parks von Paris, zu den klaren Seen mit den zarten Seerosen, um mich noch mehr inspirieren zu lassen und die Gemälde von Monet und die majestätische Natur in meiner Fantasie zu kombinieren.
Ich habe mich auf diese Ausstellung, die dem 200-jährigen Bestehen des Bremer Kunstvereins gewidmet ist, vor allem gefreut, um in den faszinierenden Ozean des Impressionismus einzutauchen. Hören Sie nur auf den poetischen Klang dieser Namen: Renoir, Monet, Degas, Sisley, Manet, Pissarro, Van Gogh…
DIE ENTWICKLUNG HÖRT NIE AUF
Am 14. November 2023 wird der Bremer Kunstverein sein Jubiläum feiern. Als drittgrößter Verein in Bremen ist er auch der größte Kunstverein in Deutschland und privater Träger der Kunsthalle Bremen. Eine große Ausstellung ist der Blütezeit der Museumsgeschichte gewidmet: der Ära Gustav Pauli (1899–1914).
Alles begann damit, dass der Bremer Senator Hieronymus Klugkist zusammen mit 11 anderen Senatoren, 16 Kaufleuten, Juristen, Syndikaten, Professoren und Ärzten einen Kunstverein in Bremen gründete. Dies war für die damalige Zeit recht überraschend, denn bis zum 18. Jahrhundert wurden Kunstsammlungen von Mitgliedern des Adels angelegt. Sie trafen sich unter vier Augen und tauschten ihre Eindrücke von den Sammlungen der anderen aus. Anfangs war der Club eine geschlossene Gesellschaft mit 50 Mitgliedern (heute zählt er mehr als 10 000 Mitglieder). Doch schon bald hatten alle den Wunsch, Ausstellungen zu organisieren und ihre eigenen Sammlungen zu erweitern und die Kunst in das Leben der Stadt einzubringen.
Am 1. Mai 1849 eröffnete die Künstlervereinigung das Gebäude der Kunsthalle Bremen. Heute beträgt die Gesamtfläche der Galerie 10.738 m². Die Ausstellungssäle haben eine Gesamtfläche von 4.318 m², und die Sammlung umfasst 1.600 Gemälde, mehr als 500 Skulpturen und 220.000 Arbeiten auf Papier.
Gustave Courbet — «Die Felsen von Etretat», 1869
Gustav Pauli war ein Kunsthistoriker und einer der ersten Museumsdirektoren in Deutschland, der Gemälde deutscher und französischer Impressionisten erwarb. Damit machte er die Kunsthalle Bremen zu einer der führenden zeitgenössischen Galerien in Deutschland. Gustav machte sein Abitur am Bremer Gymnasium und studierte Kunstgeschichte an den Universitäten von Straßburg, Leipzig und Basel. Im Jahr 1889 promovierte er in Leipzig mit einer Dissertation über die Renaissance. Nach einem Aufenthalt in der Schweiz während des Studienjahres 1894/1895 arbeitete Pauli als Bibliothekar am Dresdner Kupferstichkabinett und wurde 1905 Direktor der Kunsthalle Bremen.
Als Gustav Pauli 1911 Vincent van Goghs «Mohnfeld» (1889) für 30.000 Mark kaufte, kam es zu einem Skandal: Der Worpsweder Maler Carl Vinnen initiierte den «Protest deutscher Künstler». Dieser löste eine landesweite Debatte aus, die von großer Brisanz war. Die Bremer Kunsthalle stand im Epizentrum der gesellschaftlichen Unzufriedenheit mit dem Einzug der französischen Moderne.
Pauli gab jedoch nicht auf, erklärte die Politik der Entwicklung und betont die historische Bedeutung Van Goghs, der «vom Impressionismus zu einer monumentalen, dekorativen Ausdrucksform im höchsten Sinne gekommen ist». Im Juni 1911 schrieb Pauli «Im Kampf um Kunst. Eine Antwort auf den Protest deutschen Künstler» und schrieb: «Die Entwicklung hört nie auf, sie geht immer weiter. Solange sich die Erde dreht, leben, lieben und kämpfen die Menschen auf ihr». Übrigens war es der Bremer Vorstand des Kunstvereins, der Pauli in seiner weitsichtigen Politik des Ankaufs von Kunstschätzen unterstützte.
VOM REALISMUS ZUM POSTIMPRESSIONISMUS
Die Jubiläumsausstellung, die bis zum 18. Februar 2024 in Bremen zu sehen sein wird, zeigt nicht nur Meisterwerke der Kunsthalle Bremen, sondern auch Gemälde aus Berlin, Dresden, Frankfurt, Stuttgart und anderen deutschen Städten, die einst begannen, französische Kunst zu sammeln. Heute ist es einfach unglaublich, dass die Gründer der Galerie für ihre Hingabe an die Schönheit harsche Kritik einstecken mussten.
Der Begriff «Impressionismus» wurde von dem Kritiker der illustrierten Zeitung «Le Charivari», dem 62-jährigen Louis Leroy, geprägt, der sein Feuilleton über den «Salon des Destitute» am 25. April 1874 unter dem Titel «Ausstellung der Impressionen» («L’Exposition des impressionnistes») veröffentlichte, der auf dem Titel des Gemäldes des 33-jährigen Claude Monet «Impression. Sonnenaufgang» («Impression, soleil levant», 1872). Ursprünglich hatte der Begriff einen abschätzigen, ja spöttischen Charakter, der auf eine entsprechende Haltung gegenüber Künstlern hinwies, die «nachlässig» malten, doch später setzte er sich durch und erhielt eine kategorische Bedeutung.
Claude Monet — «Camille (Frau im grünen Kleid)», 1866
«Um das Meer wirklich gut zu malen, muss man es jede Stunde, jeden Tag, am selben Ort betrachten, um zu verstehen, wie man an diesem bestimmten Ort arbeiten muss, und deshalb arbeite ich an denselben Motiven immer und immer und immer wieder, vier- oder sogar sechsmal»
Claude Monet
Claude Monet — «Felder im Frühling», 1887
Wenn man Monets Gemälde «Felder im Frühling» (1887) aus der Ferne in einem anderen Raum betrachtet, scheint es, als könne man jeden Grashalm rascheln hören. Wenn ein heftiger Windstoß Tausende von Blütenknospen auf und ab bläst. Einen Augenblick später tanzt der Regenschirm des Mädchens auf dem Gemälde im selben spielerischen Wirbelwind. Das Gemälde wurde 1906 vom Königlichen Museum der Schönen Künste in Stuttgart erworben. All diese Wahrnehmungen werden dank Monets Fähigkeit, reines Licht darzustellen, erlebbar. Erst das Zusammenspiel unzähliger kurzer Striche in reinen Farben lässt den Eindruck der lichtdurchfluteten Frühlingslandschaft von Les Essarts bei Giverny entstehen.
Ich war von den Gemälden «Parlament. Sonnenuntergang» von 1904 und «Kathedrale von Rouen» von 1894 fasziniert. Es ist ein Gefühl, als ob sich Leichtigkeit und Transparenz mit gotischer Düsternis und Monumentalität zusammen verbinden wären. Das Spiel von Licht und Schatten erzeugt beim Lesen von Architekturatlanten die Illusion einer weichen Unschärfe. Sie scheinen zum Leben zu erwachen und ihre Gedanken, Gefühle und Weisheiten mit dem Betrachter zu teilen. Jeder luftige Pinselstrich spiegelt die Eindrücke des Künstlers von seiner Umgebung wider.
Monets Spätwerk ist durch serielles Arbeiten gekennzeichnet. So malte Monet in der Serie «Kathedrale von Rouen» 32 Bilder und in der Serie mit Blick auf das Parlamentsgebäude (Palace of Westminster) in London — 19. Im Mai 1904 kaufte Paul Durand-Ruel das Gemälde “Parlament, Sonnenuntergang” von Monet, und im Juli 1907 erwarb es das Krefelder Kunstmuseum vom Kaiser-Wilhelm-Museum, von wo es in das Kaiser-Wilhelm-Museum überging.
Monet malte die «Boote» 1869, als er zusammen mit seinem Freund Auguste Renoir an der Seine Pleinairstudien machte. Die breiten Pinselstriche, mit denen er die leicht bewegte Wasseroberfläche markiert, wurden wegweisend für die impressionistische Landschaftsmalerei des nächsten Jahrzehnts.
Claude Monet — «Das Parlament. Sonnenuntergang», 1904
Claude Monet — «Kathedrale von Rouen», 1894
Claude Monet — «Boote», 1869
«Heute will man alles erklären. Aber wenn man ein Bild erklären kann, dann ist es keine Kunst mehr»
Pierre Auguste Renoir
Ich stimme zu, wenn man sich Renoirs «Blühender Kastanienbaum» aus dem Jahr 1881 nähert, bereitet man sich darauf vor, in eine duftende Wolke aus Kräutern und Blumen zu springen. Ich brauche nicht zu versuchen, die Mimik der Figuren auf dem Gemälde zu erraten — die Vielfalt der Farben ist so verlockend, dass sich die Grenzen des vergoldeten Rahmens, der die Leinwand umgibt, auflösen und den Betrachter in die Geschichte einladen. Schauen Sie sich nur dieses schimmernde Smaragdgrün an — Sie möchten sofort Ihre Schuhe ausziehen und unbeschwert durch das junge Gras direkt zum Fluss laufen, einen Moment innehalten, die am Himmel schwebenden Wolken betrachten und verstehen, wie reich unsere Welt ist und wie viel wir uns gegenseitig geben können…
Renoir liebte es, Porträts schöner Frauen, Landschaften und Stillleben zu malen, in denen er die kühnsten Kontraste verwendete. Anhand der Gemälde des Künstlers lässt sich die Geschichte des französischen Bouquets des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts studieren. Alfred Sisley, Claude Monet und Frédéric Basile, mit denen er sofort eine enge Freundschaft verband, studierten ebenfalls in dem von Charles Gleir organisierten Kunstatelier, in dem Renoir sein Talent offenbarte.
«Der Schmerz wird vergehen, aber die Schönheit wird bleiben» — die letzten 20 Jahre lebte Auguste Renoir mit einer schweren Form von rheumatischer Arthritis, aber trotz seiner Schmerzen bewunderte er jeden Tag das Lichtspiel, das durch die Bäume brach, was seine innere Kraft für neue Kreationen vervielfachte.
Pierre Auguste Renoir — «Blühender Kastanienbaum», 1881
Pierre Auguste Renoir — «Les Grands Boulevards», 1875
Pierre Auguste Renoir — «Etude pour la Place Clichy», 1880
«Ich träume von meiner Malerei, und dann male ich meinen Traum»
Vincent van Gogh
Die ausdrucksstarken Pinselstriche des niederländischen post-impressionistischen Malers Vincent van Gogh heben sich von der raffinierten Eleganz ab. In nur etwas mehr als einem Jahrzehnt schuf der Künstler mehr als 2.100 Werke, darunter 870 Ölgemälde. «Normalität ist eine gepflasterte Straße: Sie ist bequem zu begehen, aber es wachsen keine Blumen darauf» — Van Goghs Lebensgeschichte gleicht einer kurvenreichen Off-Road-Straße, mit vielen Schlaglöchern, Klippen und attraktiven Horizonten. Die meisten Kritiker nahmen Van Gogh bis zu seinem Selbstmord im Alter von 37 Jahren nicht wahr. Nur dank der ständigen finanziellen Unterstützung seines jüngeren Bruders Theo konnte sich Vincent trotz ihrer Differenzen über die Normen des Lebens ganz der Malerei widmen.
Da er selbst keine Kinder hatte, betrachtete Van Gogh seine Gemälde als Nachkommen: hell, kühn, unabhängig und temperamentvoll… Wie zum Beispiel das «Mohnfeld», das 1889 unmittelbar nach der Einweisung des Künstlers in eine psychiatrische Klinik in Saint-Rémy-de-Provence entstand. Das farbenprächtige Mohnfeld war die erste Landschaft, die er während seines Aufenthalts in der Klinik malte. Dieser ausdrucksstarke Kontrast und die lebensbejahende Farbpalette sind wie eine emotionale Resonanz, die es ermöglicht, den unsichtbaren Schild zwischen dem Künstler und der Gesellschaft zu entfernen. Das «Mohnfeld» wurde zusammen mit den anderen berühmten Werken Van Goghs gemalt, in denen er Zypressen, Oliven, Weizenfelder und den Sternenhimmel darstellte.
«Erkenne die Existenz der Sterne und die Unendlichkeit des Raumes, und dann wird das Leben von Licht erfüllt sein», — Vincent hatte eine besondere Leidenschaft für die Sterne, die er in seinen Gemälden «Sternennacht» und «Sternennacht über der Rhone» in einem Zustand erhöhter Realität darstellte. Sonnenblumen sind ein weiteres Leitmotiv in den Werken des Künstlers. Ausdrucksstark, verspielt, süffisant, wie brennende und kalte Sterne — die Bedeutung der Sonnenblumen ist direkt mit der Sonne verbunden, die Leben, Kraft und Wärme spendet. Die Natur treibt diese Blume immer wieder dazu, das Sonnenlicht zu suchen, um sich zu nähren und ihre innere Schönheit zu offenbaren. Für Van Gogh waren sie Ausdruck einer Idee, die Dankbarkeit symbolisiert.
Übrigens, falls Sie die Filmbiografie «Van Gogh: A Portrait in Words» aus dem Jahr 2010 mit Benedict Cumberbatch in der Rolle des Künstlers noch nicht gesehen haben, sollten Sie sich ihn vor dem Besuch der Kunsthalle Bremen ansehen — er basiert auf seinen Briefen an seinen Bruder Theo.
Vincent van Gogh — Rosen und Sonnenblumen, 1886
Vincent van Gogh — «Porträt Armand Roulin», 1888
Vincent van Gogh — «Mohnfeld», 1889
Wenn Sie die Ausstellung verlassen, sollten Sie unbedingt den Souvenirshop besuchen, um einen kostbaren Tropfen der Kunst mitzunehmen.
«Der richtige Weg kann nur durch Beobachtung und Reflexion gefunden werden. Deshalb müssen wir ständig suchen und Fragen stellen»
Claude Monet